Artikel vom 17. März 2012

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Die Verfertigung der Mode beim Denken

17.03.2012 · Von der Anstellung bei Hugo Boss zum eigenen Label und einem Atelier in einem alten Hotel. Andrea Ulrich macht Kleider, die den zweiten Blick aushalten. Ein Besuch.
Von Dorothea Friedrich, Bad Ems

Mehr Ernsthaftigkeit geht nicht. Gleich mit dem Namen fängt es an; „meinweiß“ nennt Andrea Ulrich ihr Label. Rein gar nichts soll auf sie selbst hinweisen, Person und Werk sollen streng getrennt sein. Der Name fiel der Designerin beim Entwerfen der Etiketten für die erste eigene Kollektion ein. „Er war plötzlich da,“ sagt sie: Blasse weiße Buchstaben sollten sich von noch fahlerem weißem Untergrund schemenhaft abzeichnen. „meinweiß“. Wie ein Bekenntnis mit einem mütterlich-beschützenden Unterton, gleichzeitig ein diskreter Rückzug hinter die kleinen Meisterwerke, die Andrea Ulrich seelenruhig entwirft. 2006 tat sie den großen Schritt aus dem sicheren Job bei Hugo Boss in die unsichere Zukunft eines eigenen Unternehmens: ganz auf sich selbst gestellt, in Bad Ems gelandet.

Es ist nicht ihre erste Kleinstadt. Andrea Ulrich wurde in Weimar geboren, wuchs dort auf und meinte zunächst, das Theater sei ihre Bestimmung. Dem Abitur folgten ein Praktikum am Weimarer Nationaltheater beim Bühnen- und Kostümbild und vier Semester Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte in Leipzig. Dann war Schluss. Zu kopflastig, zu theoretisch, fand Andrea Ulrich. 1997 war die Ausbildung zur Diplomdesignerin an der Fachhochschule Trier dann das Richtige. Ihre Abschlussarbeit trug den schönen Titel „Die Ordnung der Dinge“. Natürlich eine Hommage an Michel Foucault, den wiederum der angebliche Fund von Jorge Luis Borges in einer chinesischen Enzyklopädie lachen und grübeln gemacht hatte. Darin sollten sich die Tiere „wie folgt gruppieren: … Tiere, die dem Kaiser gehören … einbalsamierte Tiere … Milchschweine … Sirenen … die mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gezeichnet sind … die den Wasserkrug zerbrochen haben …“ Ulrich war genauso entzückt wie Foucault und fand auch gleich ihr Credo: die Liebe zum Detail, das sich erst auf den zweiten Blick offenbart, bloß keine Theatralik, dafür aber das Spiel mit Neugier, Licht und Schatten. Eine Art allmählicher Verfertigung der Mode beim Denken und später beim Hinschauen.

Hugo Boss gehört zu ihren Lehrmeistern

Schon in der Studienzeit war Ulrich „dem Fluch“ verfallen, wie sie ihre sich selbst auferlegte Verpflichtung zur Qualität manchmal nennt. Der Fluch führte sie zu Firmen wie dem amerikanischen Kaschmirriesen TSE und zu einem Wettbewerb in der Strickhochburg Apolda, wo Toni Gard und Hugo Boss auf sie aufmerksam wurden. Nach beendeten Praktika wurde sie schnell verpflichtet in Metzingen. Von den wertvollen Erfahrungen dort profitiere sie immer noch, sagt Ulrich. Aber sie sei bei Boss eben nur für einen kleinen Ausschnitt verantwortlich gewesen, und so sagte sie der entfremdeten Arbeit nach drei schönen, anstrengenden Jahren Lebewohl. Nicht ganz einfach, wenn man gewöhnt ist, schon allein für die Zugehörigkeit zu einem weltbekannten Modeunternehmen bewundert zu werden. Zu Beginn der Selbständigkeit bleibe einem erst einmal nichts als die eigene Kompetenz. Also doch Bedenken gehabt? Keine Spur. „Das ist ein tolles Gefühl!“

Angstfrei muss wohl auch sein, wer sich entschließt, eines Mannes und eines Hauses wegen nach Bad Ems zu ziehen. Sebastian Jacobi, ein Kunsthistoriker, Restaurator, Kunstsammler und -händler, hatte dort den Schützenhof gekauft, eines der Hotels aus der Blütezeit des Badeorts, das ohne ihn und Andrea Ulrich dem Verfall preisgegeben gewesen wäre. Denn die Zeiten, da Bad Ems selbstverständlicher Kurort von Wilhelm I., Dostojewski, Lassalle und Alfred Krupp war, sind vorbei. Ulrich und Jacobi haben mit hohem Einsatz an Zeit und Geld die Instandsetzung des Hotels in Angriff genommen. Und während sie in geduldigster Sisyphusarbeit mit Dampfreiniger und Zahnarztbesteck den dicken Schichten von Linoleum, Teppichböden, Gips und Farbe zu Leibe rückten – 350 Tonnen Schutt mussten abtransportiert werden -, wurden im einstigen Weltkurort zehn andere historische Gebäude abgerissen.

„Für Sie haben wir sowieso nichts“

Im Mai soll endgültig das frühere Restaurant im Erdgeschoss als Showroom für Ulrichs Mode und Jacobis Kunstgegenstände eröffnet werden. Immer noch gibt es genug Räume, die begeisterte Redakteure von Wohnzeitschriften jederzeit in die Rubrik „shabby chic“ aufnehmen würden, ließen Ulrich und Jacobi sie nur gewähren. Das Erdgeschoss wurde schon öfter für Kampagnen vermietet, unlängst an das Label Cinque, und so verschlug es das männliche Supermodel Tony Ward, in Musikclips einst ein Liebling von Madonna, auch einmal nach Bad Ems; Ulrich amüsiert sich darüber. Den engagierten Respekt, den sie und Jacobi der Leistung vergangener Handwerkergenerationen und dem Kleinod Schützenhof entgegenbringen, teilen nicht alle. In den Informationen zu dem von einer Agentur verbreiteten Making-of-Video des Shootings heißt es bloß, der Ort habe sich „in der deutschen Provinz, irgendwo zwischen Koblenz und Wiesbaden“ befunden.

In der Region zu kaufen ist „meinweiß“ in Frankfurt bei „goyagoya“, doch immer öfter nimmt Ulrich in Bad Ems selbst Maß und schüttelt den Kopf über die Leidensgeschichte mancher Kundin, die mit einem „Für Sie haben wir sowieso nichts“ aus dem Laden geworfen wurde. Kompromisslos reagiert sie, wenn ihr eines ihrer Modelle nicht mehr gefällt. Dann gibt es weder Rabatt noch Pardon: Das Stück wird entsorgt. Wie sonst solle sie den ursprünglich verlangten Preis rechtfertigen? Konsequent verweigert sie sich der üblichen Tretmühle regelmäßiger Kollektionen und legt nur kleine Stückzahlen auf. Ihre Kleider und Mäntel, oft mit stoffbezogenen Knöpfen, die sie besonders liebt, ziehen einen so in den Bann ihrer unaufdringlichen Schönheit, dass man die Mühen dahinter ignoriert. Es gibt aber auch einfache Röcke, die man „eher mal einfach so mitnehmen“ könne, wenn man bei Messebesuchen auf Andrea Ulrich stößt.

Die Blusen, muss sie zugeben, sind dann aber doch wieder eher kompliziert geschnitten, oft mit selbstgefertigten Drucken, für die sie auch ungewöhnliche Vorlagen nutzt wie etwa einen – bislang aber nur für Fotoalben verwendeten – Tapetenstempel mit floralem Muster aus dem Besitz der Dukes of Devonshire. Das aufmerksame Paar fand ihn auf der Suche nach Trouvaillen bei einem Speicherverkauf. Es ist typisch für die beiden, dass sie die ehemaligen Besitzer über Fund und Verbleib des Stempels informierten, dann aber staunten, wie herzlich wenig das den englischen Hochadel interessierte.

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